Es gibt soviele Menschen da draussen, die reden und reden, aber setzen nichts von dem um, über was sie schlau und smart reden. Ich bin eine davon. Ich war eine davon. Immer viel geredet, schlaue Texte geschrieben und veröffentlicht, und doch hatte ich vieles von dem, was ich zum Besten gab, nicht verkörpert. Verkörperung bedeutet, dass Worte und Taten übereinstimmen. Man nennt es auch Integrität. Das Wort habe ich jahrelang nicht verstanden. Kein Wunder, wenn man das eine sagt und das andere macht.
Im Jahr 2014 veröffentlichte ich einen Text, in dem ich beschrieb, wie es mir mit Ende Zwanzig gefühlsmäßig ging. Ich fing an, mein Leben zu hinterfragen. Ich wusste, dass da draußen mehr ist, als das klassische Vorzeigeleben. Ich wusste, dass etwas in mir etwas suchte. Was das war, wusste ich nicht. Es war namenlos, undefinierbar.
Der Artikel war so erfolgreich, weil er einer ganzen Generation aus der Seele sprach. Ich formulierte das, was alle fühlten und nicht einordnen konnten. Mein Text ging so schnell viral, dass viele Anfragen von Film und Fernsehen, Radio und Magazinen bei mir eingingen. Ich war über Nacht ein neues Schreibtalent geworden, die Stimme der Generation. Es war ein Traum, der wahr wurde. Und zwar ein Alptraum. Denn meine Ängste davor, mich im Aussen zu zeigen, kickten zu stark rein, dass ich mich komplett zurückzog, alles klein redete und auch meinen Text am Ende sehr bescheiden fand. Ich machte ein Interview mit Radio Eins. Mein damaliger Partner sagte, ich hätte mich selbst so klein geredet mit meinen Worten. Ja, genau das passiert, wenn die Angst übernimmt.
Ich ließ die Chance meines Lebens sausen. Die Chance, die ich nicht wahrnahm, nahm jemand anderes wahr. Ein ominöser Mann, der zum Star der Generation beziehungsunfähig wurde. Besagter Mann (mein persönlicher Lord Voldemort) wurde mein Endgegner. Ich war sauer auf ihn, dass er in meine Nische rein sprang. Ich warf ihm vor, dass er all meine Texte geklaut und dann darauf sein Buch aufgebaut hätte. Ich suchte im Aussen einen Schuldigen für mein „Versagen“.
Mein Name war schnell vergessen und klein, sein Name wurde größer und größer. Er ist es bis heute. Ich schickte ihm 2014 mal eine Freundschaftsanfrage über Facebook, die ich dann schnell wieder löschte. Von besagtem Mann blieb dies nicht ungesehen. Er schrieb mir daraufhin und wir hatten einen sehr kurzen aber netten Austausch, in dem er mich „Star-Autorin“ nannte. Das ging runter wie Butter und war alles, was ich von ihm hören musste. Unsere Unterhaltung blieb von mir nach kurzer Zeit unbeantwortet. Ich mochte besagten Mann trotz Kompliment gar nicht und ließ ihn das auch subtil immer wieder durch Texte und Kommentare wissen. Ich schrieb sogar einen ganzen Diss-Text nur für ihn, getarnt als Perspektive darauf, dass wir uns mal weg von der beziehungsunfähigen Generation hin zur Generation der Möglichkeiten bewegen müssten.
Ich habe mir meine Angst nie verziehen, bis heute nicht. Ich wollte immer schreiben, damit Geld verdienen und Menschen erreichen. All das wurde mir auf dem Silbertablett serviert. Ich schlug es von mir. Meine Angst hatte mich so sehr im Griff, dass ich kurze Zeit später ganz aufhörte zu schreiben. In diesem Moment begann mein spiritueller Weg.
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Januar 2024. Ich liege im Bett mit einer Freundin. Wir machen ein klassisches „Sleep- Over“. Auf einmal sagt sie zu mir, dass sie ein Video von besagtem Mann gesehen hätte und ich erinnere mich an meine Abneigung gegen diesen. Ich weiß, es ist Zeit mich meinen Dämonen zu stellen. Ich zücke mehr oder weniger aus Spaß mein Handy und sage zu ihr, dass ich mal Kontakt mit besagtem Mann aka Lord Voldemort hatte und ihn einfach total doof finde. Wir lesen gemeinsam unseren damaligen Nachrichtenverlauf und kommen zu dem Entschluss: Jetzt ist die Zeit der Heilung gekommen.
Ich schreibe ihm also nach mehr als 9 Jahren: „Ich wäre jetzt bereit, diese Unterhaltung fortzuführen.“
Das findet er natürlich sehr interessant, dass ich mich 9 Jahre später melde. Wir wechseln zu WhatsApp und ich bezweifle, dass es seine echte Nummer ist. Aber er sagt, er hätte nur diese eine. Ok. Ich glaube ihm. Ich frage ihn, ob wir uns mal treffen wollen zum Frühtsück (unverbindlich, praktisch, gut). Er sagt ja.
Bevor wir unser Treffen ausmachen, gibt er mir zu verstehen, dass er nun auf Lesetour für sein neues Buch gehen und es zeitlich alles enger wird. Kein Problem. Ich habe nämlich zwei Karten für seine Lesung in Berlin erhalten und werde mir meinen persönlichen Dämon mal in Aktion anschauen. Gesagt getan.
Ich muss „leider“ zugeben, dass er seine Sache auf der Bühne sehr gut gemacht hat und sicher auch noch macht. Ich mag seine Art, die vor allem etwas sehr jungenhaftes aber smartes in sich trägt. Er sagte mir, ich solle doch mal „Hallo“ sagen, wenn ich ihn bei der Lesung sehe. Diese Möglichkeit ergab sich nicht, da er von Frauen umringt wurde, wie ein Popstar. Alle wollten ein signiertes Buch und ein Foto von besagtem Mann, meinem persönlichen Lord Voldemort (dessen Namen man nicht aussprechen darf).
Ich habe keine Eile, ich will ja nur mal reinen Tisch machen und ihn kennenlernen. Wir treffen uns spontan wenige Tage später in einem Cafe im Prenzlauer Berg. Ich habe mich nicht hübsch gemacht, denn es ist ja kein Date, nur ein Treffen. Ich sitze da und mir ist super heiß und kalt zu gleich.
Ich habe keine romantischen Ambitionen. Warum auch? Die ersten Minuten sind immer seltsam wenn man sich noch nie getroffen hat, aber dann entwickelt sich unser Gespräch zu einem neunstündigen Treffen mit viel Lachen und einer gewissen Vertrautheit. Man kennt sich, obwohl man sich nicht kennt. Als er dann noch aus dem Nichts die Serie „Buffy- Im Bann der Dämonen“ erwähnt, weiß ich, ok, mein Endgegner ist eine Version von mir selbst. Ich meine, wer würde genau diese Serie, die meine absolute Lieblingsserie war, erwähnen? Das ist so „random“ und (k)ein Zufall.
Wir reden noch über viele andere Themen, manches kenne ich nicht (da merkt man den Altersunterschied von 10 Jahren). Wir kaufen uns Zigaretten und er bringt mich nach Hause. Wir umarmen uns und finden den Abend super. Ich habe mir meinen Dämon zum temporären Freund gemacht. Wir schreiben unregelmäßig, telefonieren ein zwei mal und besagter Mann erzählt mir von einem Traum, in dem ich vorkam. Es wäre so als ob ich immer Teil seines Lebens war, vertraut, sagt er.
Ich empfinde es ebenso, aber bin auch vorsichtig, denn nicht alles muss immer romantischer Natur sein. Dann Treffen wir uns ein zweites Mal. Ich ziehe mir ein schwarzes Kleid an, ich gebe mir outfittechnisch mehr mühe. Wir sitzen wieder stundenlang gemeinsam in einem Cafe. Wir unterhalten uns über Beziehungen und warum diese oftmals scheitern. Mir wird einiges klar. Besagter Herr steht ja für eine gewisse Expertise rund um das Thema. Besagter Mann ist sehr ehrlich, sehr unpretentiös, angenehm und witzig. Mein Herz geht auf (wirklich!). Aber er fragt nichts zu mir oder meinem Leben. Vielleicht liegt es daran, dass ich soviele Fragen zu dem seinigem habe?! Es bleibt ein Rätsel.
Nach diversen Weinschorlen machen wir uns auf den Heimweg. Ich sage ihm, dass ich kein Interesse an einem kurzzeitigen Vergnügen habe. Ich sage ihm, dass wir es mal anders machen können als bisher. Uns mal kennenlernen, fernab der Weinschorle und anderen Genüssen.
Ich weiß nicht genau, ob er das gut fand oder eher nicht. Ich aber war sehr klar, weil das zwischen uns was besonderes war, zumindest für den Moment.
Und dann passiert es. Wir umarmen uns vor „Hashtag MyDöner“, ein Dönerladen in meinem Kiez, mit Leuchtschrift und unverwechselbarem Namen. Diese Umarmung war elektrisierend. Es floss aufeinmal soviel Energie durch mich, als hätte jemand in mir etwas angeschaltet. Er fuhr mit seinen Händen über meinen Rücken und ich hätter gern stundenlang so verharrt. Es war wie eine Erinnerung, nur an was?
Hashtag MyDöner wird für immer meine Assoziation bleiben für unsere Herzens-Begegnung.
Wir beide spürten es. Was auch immer es war. Denn nach unserem letzten Treffen im Februar 2024 habe ich ihn nie wieder gesehen. Er ging auf seine Lesetour, wir machten ab, dass er sich melden würde. Dies hat er nicht getan, weder auf meine charmanten Nachrichten, noch auf meine Bitte, mich nicht zu ghosten. Nun ist er aber zu einem Geist in meinem Leben geworden. Eine schöne Erinnerung in Form eines Geistes, der kein Dämon mehr ist sondern eine nette intensive Begegnung. Und sind es nicht immer die Begegnungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben?
Ich bat ihn, mal kurz ein Zeichen zu geben, ob wir uns nun erst weitere 9 Jahre später austauschen würden? Denn das wäre ja fair, schließlich habe ich mich auch solange nicht gemeldet. Es blieb still. Und das ist ok.
Kommen wir zurück zu meinen ersten Sätzen. Wenn das, was man Schlaues sagt, nicht gelebt wird, hat man zwar Wissen aber keine Weisheit. Denn Weisheit kommt erst mit gelebten Erfahrungen. Solange wir nur reden reden reden, über das was wir tun könnten und wollen, aber es nicht tun, leben wir in Disharmonie. Und dies wird sich auch im Außen in allen Beziehungn zeigen. Besagter Mann wird sein Wissen verkörpern müssen. Denn sonst bleibt alles, was er sagt, eine Blase, die immer wieder zerplatzt.
Warum sind wir beziehungsunfähig? Weil wir nicht wissen, wer wir selbst sind. Weil wir nicht wissen, was wir wirklich wollen und warum. Weil wir das eine sagen, und das andere machen.
Mein Treffen mit besagtem Mann war eine schöne Erfahrung, die ich in meinem Herzen trage. Ich fühle mich diesem Mann verbunden, weil er mir einen Anteil in mir gespiegelt hat. Positiv und negativ. Besagter Mann ist mein Homie, ohne mein physischer Homie zu sein. Und dafür bin ich dankbar. Auch wenn ich ein bisschen sauer bin, dass ich geghostet wurde, obwohl wir hoch und heilig abgemacht haben, dass keiner von uns das macht und wir ehrlich reden.
Danke besagter Mann. Ich finde dich nicht mehr doof. Ich mag dich. Bitte melde dich. Kleiner Spaß. Musst dich nicht melden, kannst es aber tun. Bin nicht sauer und das weißt du.
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