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(M)Ein Leben ohne Instagram

Annelie Schober



Ich wache eines Morgens auf und bin krank. Krank wie man es nur sein kann, eben nicht gesund. Der Hals tut weh, ich kann kaum Schlucken. Nichts geht mehr. So ist es manchmal. Aufeinmal ist der Körper schwach und man selbst wehleidig, hat gestern noch einen riesen Eisbecher mit Eierlikör verputzt und wenige 12 Stunden später ist die Welt zu Ende. Zumindest die Welt des Gesundseins.

Krank sein ist für mich sehr aussergewöhnlich, denn: ich bin nie krank. Das erzähle ich all meinen Freunden immer ganz stolz. Und doch bin ich nun krank, völlig verzweifelt und weinerlich. Das wird sich über 11 Tage intensiv so halten. Diese 11 Tage Überlebensampf (ich übertreibe) werden mein Leben für immer verändern. Denn ich werde an Tag 5 entscheiden, dass ich mich von Instagram verabschiede.


Bis Tag 5 wird es alles allerdings noch etwas dramatischer, denn zu meiner Mandelentzündung kommt dann auch noch die Bindehautentzündung. Ich kann nicht sprechen und nichts sehen. Es werden mir alle Werkzeuge genommen, die für mich, meine Arbeit und Instagram wichtig sind. Meine Krankheit zerrt so an mir, dass ich eigentlich noch nicht mal Lust habe, Instagram zu öffnen, aber ich mache es trotzdem, weil mein Finger schon genau weiß, wo die App auf meinem Telefon sitzt und es wie ein antranierter Mechanismus ist, dort drauf zu klicken. Jeden Tag, jeden Morgen und immer mal wieder zwischendurch. Swipe, klick klick zack, Instagram ist offen.


Ich scrolle. Du scrollst. Wir scrollen. Das ist bestimmt die neue Art wie man den Erstklässlern die Pronomen beibringt. Wir alle scrollen unaufhörlich. Aber was genau suchen wir? Es ist immer dasselbe. Ich bleibe an Tiervideos hängen, besonders Katzen haben es mir angetan. Und dann gibt es da noch mein eigenes Profil, dass gefüllt werden möchte. Dieser Druck an sich selbst, was gutes zu posten, etwas bedeutsames, was eh keiner liest mit meinen knapp 1400 Followern (ich dramatisiere).


Was ist, wenn Instagram mich krank gemacht hat? Dieser Gedanke ist nicht abwegig, denn Social Media geht auf unsere Psyche. Das weiß ich, das weißt du, das wissen wir! Ausrufezeichen! Instagram, das oktopussartige Wesen, dass dich mit seinen tausenden Tentakel Armen in seine Fänge zieht und dann veschlingt um deine Gedanken mit Tiervideos zu infiltirieren oder dich zum Kauf eines Online Kurses zu animieren. Ganz ehrlich, kann ein Leben ohne Social Media möglich sein? Ich meine es war ja anscheinend mal möglich. Ich habe es selbst erlebt, und in der Retrospektive war das vielleicht gar nicht so schlecht. Aber ich will mal nicht wie eine der Älteren klingen die immer jammern, das damals alles besser war. Fortschritt ist unaufhaltsam, es ist eigentlich nur eine Form der Veränderung.

Ich entscheide mich also im Peak meiner geheimnissvollen aus dem Nichts kommenden Krankheit, ohne Stimme, mit nur wenig Augensehkraft, Instagram zu löschen. Löschen klingt so hart, ich entscheide mich, es zu deaktvieren. Wenn man jetzt denkt, das geht total einfach, dann liegt ihr alle natürlich falsch. Ich muss erstmal googlen, wo ich diese Einstellung finde. Ich stelle fest, das geht nur über den Laptop, zumindest bei mir. Und dann, als ich endlich gefunden haben, wonach ich suche, tue ich es. Ich tue es. Ich deaktiviere Instagram. Instagram ist natürlich gewieft denn in den Standard Einstellungen steht „Profil nach 7 Tagen wieder aktivieren“. Ich bin aber auch schlau, und ändere diese Einstellung auf „Manuell aktivieren“.


In meinem Kopf singt ein leises Halleluja, als die Tat vollbracht ist. Ich fühle mich gleich viel gesünder. Ohne Witz, ich merke, wie mich dieser Wahnsinn schon immer belastet hat. Jedes Mal wenn ich einen Text schreiben wollte, habe ich vorher nur mal kurz gescrollt um nichts zu verpassen. Der Text wurde nie geschrieben, wenn ich vorher bei Instagram war. Ich glaube diese Programmierung der Sozialen Medien geht so in uns über, dass sie uns in eine Abhängigekeit zu ihnen treiben. Es ist eine Sucht, ohne Frage, und nur die stärksten können dieser Entkommen. Ich bin aber nicht immer stark, keiner von uns kann immer stark sein. Aber in meiner wehleidigsten schwachen Zeit der Krankheit entscheide ich mich, stark zu sein und diesem elendigen Ablenkungsfaktor vorerst eine Ende zu setzen. Ich schreibe bewusst vorerst, denn es gibt keine Absoludität. Alles kann, nichts muss, ich bleibe frei zu entscheiden, ob ich zurück kehren möchte.


Nachdem Instagram deaktiviert ist, passieren in den darauffolgenden Tagen interessante Dinge. Mein Kopf ist nicht mehr so okupiert mit Nachrichten und Themen anderer Menschen.  Ich fokussiere mich vollkommen auf meine Heilung, was in meinem Fall viel Inhalieren, viel Tee trinken, viel schlafen bedeutet. Ich vermisse nichts, nicht mal die Katzenvideos. Ich bin ohnehin gedanklich voll mit Katzenvideos. Ich habe sie alle gesehen. Ich spüre, wie der Druck in mir nachlässt, denn ich muss nichts mehr posten, nichts mehr verfolgen, was die anderen so machen und mich dann auch nicht mehr schlecht fühlen, weil ich es nicht so mache, wie die anderen. Wow. Ein gutes Gefühl.

Ich realisiere schnell, dass mein Akku meines Iphones mehr als einen Tag hält. Ich wundere mich nur, das mich keiner kontaktiert, warum ich nicht mehr bei Insta abhänge? Nach 4 Tagen ohne die App, merken es dann doch ganz langsam einige Menschen und schreiben mir bei Whatsapp. Aber es bleibt dennoch ruhig. Mein Abtauchen ist noch nicht offensichtlich.


Oft habe ich erlebt, dass Menschen bei Instagram ankündigen, dass sie nun gehen, das sie eine Pause machen. Ganz dramatisch wird es zur Schau gestellt, was den Akt des Abtretens aus der Plattform natürlich nochmal hervorstechen lässt. Das Ego liebt Drama, es liebt die Bühne und den angekündigten Abgang. Mein Ego liebt eher den polnischen (Abgang): Still und heimlich, nichtssagend aus dem Raum sneaken. So, ich bin dann mal weg aber ich sags einfach keinem. Niemandem. Und dann kommt noch eine kleines „Hihi“ aus mir hervor. So habe ich also meine Freunde, Familie und Klienten einfach zurück gelassen. Ich vertraue auf die gute alte Form der Kommunikation via Mail und WhatsApp. 


Mein Leben gestaltet sich nun neu. Ich bin nicht gegangen um Aufmerksamkeit zu erzeugen sondern um meine Zeit wieder produktiv für mich und meine Projekte zu nutzen. Krankheit ist lästig, aber sie besinnt dich auf die wesentlichen Dinge, denn wenn dein Körper schwach ist, du nicht viel tun kannst, dann merkst du auch auf wundersame Weise, wie viel Zeit du vergeudest mit Schwachsinn, wie z.B Instagram. Das Leben findet NICHT dort statt. Es ist zum großen Teil eine Scheinwelt. Ein Ort der Manipulation aber auch der Kreativität. Alles hat immer zwei Seiten, Gewinn und Preis.

Mein Wunsch war und ist es, wieder mehr zu schreiben. Aber ich scrollte lieber, ließ mich ablenken und verbrachte Zeit damit, mich dann über eine Plattform aufzuregen, auf der ich selbst abhing und mich freiwiliig entschied, die Dinge zu lesen die mich aufregten. Ich bin hier natürlich nicht das Opfer von Instagram, ich habe mich selbst zum Opfer gemacht. Nach 6 Tagen ohne Instagram wird mir das Ausmass der Abhängigkeit überhaupt erstmal bewusst.


Alle reden über Instagram. Auch für mich war es die Quelle so mancher Informationen und Inspirationen. Und nun ist es weg. Die Zeit darf gefüllt werden. Also entschied ich mich, diesen Text zu schreiben und ich möchte sagen, es ist gut so. Denn Schreiben habe ich etwas verlernt in den letzten 10 Jahren. Vielleicht war diese Krankheit mein „Wake-up-Call“ damit ich mich endlich von den unnötigen Dingen trenne und wieder mehr schreibe. Aber wer wird diesen Text überhaupt lesen? Ist es überhaupt wichtig, dass ihn jemand list?

Wichtig ist, das ich schreibe. Das ich meine Gedanken bei mir behalte und mich fokussiere auf die Ideen und Projekte, die darauf warten, von mir geboren zu werden. Manchmal hilft das Universum uns auf mysteriöse Art und Weise, unseren Weg zu uns und mit uns selbst wieder zu finden. Ich glaube, ich bin mal falsch abgebogen und etwas verwirrt umher gewandert und diese Kranheit hat mich wieder auf den Hauptstrasse geholt. So nach dem Motto „Ja also war ja ganz nett wie du da jetzt bisschen lustig umher geirrt bist und dich abgelenkt hast, jetzt reichts, wir brauchen dich noch für was anderes als dir ständig lustige Videos reinzuziehen!“


Bisher habe ich es keinen Tag bereut, diese App nicht mehr zu nutzen. Manchmal habe ich so geile Ideen, so witzige Worte und Sprüche in mir, dass ich kurz mein Handy nehme um es bei Instagram zu teilen, wobei ich dann mit einem kurzem „Hmm“ bemerke, dass ich das ja nicht mehr kann. Es dürfen also neue Wege her, meine Gedanken zu teilen. Und glaubt mir, ich habe unendlich viele Gedanken, Ideen und Themen, die ich amüsant und ausführlich verschriftlichen kann.

Ich dachte ehrlich gesagt, dass es schlimmer wäre, ohne diese konstante Beschallung zu leben, aber der Frieden und die Ruhe, die ohne diese App in meinem Leben Einzug hält, ist ein toller Gewinn und den Preis wert, nicht mehr uptodate zu sein. Wir bürden uns jeden Tag viel zu viel Input auf, kein Wunder, dass wir alle krank sind und werden. Zuviel Information überlädt das System. Die Wichtigkeit von Rückzug, Stille und einem gedanklichen Frieden wird in unserer Gesellschaft nach wie vor unterschätzt. Gedanken machen uns krank, und wenn wir sie jeden Tag durch Medien- Konsum befüttern, dann brauchen wir uns nicht wundern, wieso mentale Krankheiten immer mehr zunehmen, die dann natürlich auch in physischer Form Ausprägung finden.

Gehabet euch wohl, es grüßt: Die Aussteigerin.

 

 

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